Safety

Pen&Paper-Rollenspiele sind ein sehr soziales Hobby, das auch ziemlich emotional involvieren kann. Was meist etwas Gutes ist – und falls es das mal nicht ist, gibt es Safety-Tools.

Doch zunächst: Warum sollte man Safety Tools nutzen? Kann man nicht einfach spielen? Sicher. Allerdings kann man in Situationen geraten, wo man sich wünscht, man hätte sich zuvor Gedanken gemacht. Und auch wenn es nie zu einer solchen Situation kommt, kann das ganze Erlebnis davon profitieren.

Für viele Menschen gibt es Themen und Inhalte, die sie lieber vermeiden möchten – vielleicht stört es sie nur etwas, vielleicht lösen diese aber auch ernsthafte psychische Belastungen, überfordernden Stress oder einen Stimmungswechsel in andere negative Emotionen aus. Bekannte Beispiele für solche Themen sind Spinnen, explizite Gewalt, sexuelle Inhalte, Suizide. Es gibt darüber hinaus noch viele weitere, und bekanntermaßen ist jeder Mensch unterschiedlich: Was manche harmlos finden, kann für andere definitiv „zu viel“ sein.

Dabei können gewisse negative Emotionen durchaus beabsichtigt sein und zum Rollenspielerlebnis dazugehören. Was wäre ein Horror-Abenteuer ohne etwas Angst und Grusel, oder ein High School Setting wie bei XOXO ohne verletzte Gefühle und Intrigen? Der wichtige Unterschied: Auch wenn wir uns beispielsweise gruseln, haben wir Spaß auf eine gewisse Weise. Wenn wir aber in echte Angstzustände oder Panik übergehen, ist das wohl nicht gewollt – und macht sicher keinen Spaß.

Je besser eine Spielrunde uns fesselt und einbindet, umso höher ist dabei naturgemäß das Risiko, auch so etwas zu erleben. Im Gegensatz zu Serien sind wir hier aktiv – aber viel mehr als zum Beispiel in einem Videospiel: Dort steuern wir unseren Charakter „nur“ mit Gamepad u. ä. und klicken Sätze an. Im Pen&Paper-Rollenspiel verkörpern wir unseren Charakter viel mehr. Wir genießen viel mehr Freiheit, wir gestikulieren, wir sprechen für unseren Charakter, und mitunter lachen, weinen, schreien, zittern wir. Entsprechend können uns die erlebten Szenen viel mehr berühren, viel näher gehen, viel begeisternder sein – und auch viel schrecklicher sein. So kann es vorkommen, dass etwas, das uns in anderen Spielen oder Medien nichts ausmacht, im Rollenspiel triggert, mitunter sogar abhängig von der Tagesform.

Als Spielende ist uns genau das bewusst. Um solche Erlebnisse zu vermeiden oder wenn es zu diesen kommt, sie schnell beenden zu können, gibt es Safety Tools. Auch wenn wir natürlich hoffen, dass wir sie nie benötigen. Alleine das Wissen, dass wir sie haben und nutzen können, kann das Spielerlebnis verbessern: Sich umso emotionaler hingeben, umso mehr das Erlebnis fühlen, umso waghalsiger auch in angespannte Szenen gehen – leichter, wenn man weiß, dass es Sicherheiten gibt, und wir im Fall der Fälle sofort und ohne Diskussion herauskönnen. So können wir alle profitieren von Safety Tools – einfach durch die Option, sie nutzen zu können.

Sucht euch aus den folgenden Vorschlägen jene heraus, die euch am geeignetsten scheinen für eure individuelle Spielgruppe. Insbesondere im englischsprachigen Raum könnt ihr bei Interesse noch viele weitere Safety-Tools online finden.

Session Zero

Die „Sitzung 0“ ist kein klassisches Safety Tool, kann aber ebenso zur Sicherheit im Spiel beitragen. Wie der Name andeutet, handelt es sich um eine gemeinsame Sitzung, bevor man erstmals zusammenspielt. Hier geht es darum, vor dem Start einer festen Spielrunde gemeinsam über vieles zu reden und einen Konsens zu finden. Beispielweise Zeiten, Essen und Trinken oder ob Smartphones beim Spielen in der Tasche bleiben sollen. Aber auch Spielelemente gehören dazu: wie beispielsweise das Verhältnis zwischen sozialem Spiel und Kämpfen, die Anwendung bestimmter Sonder-Regeln und Charakteroptionen, Zeit und Region der Spielwelt – oder auch einfach, was man sich wünscht oder erhofft für die Runde und den Charakter.

Eine solche Sitzung ist entsprechend generell empfehlenswert, um späteren Diskussionen oder Enttäuschungen vorzubeugen. Sie bietet sich aber auch an, um bereits vorab über mögliche Tabuthemen und potenzielle Trigger zu reden. Eine Beachtung dessen wird so erleichtert, da die Spielleitung entsprechende Inhalte gar nicht erst planen oder vorbereiten würde. Auch die Mitspielenden können sich entsprechend vorbereiten – es wäre aber natürlich auch denkbar, sensible Themen im Einzelgespräch mit der Spielleitung zu besprechen.

Zur konkreteren Definition etwaiger schwieriger Inhalte könnt ihr „Lines & Veils“ anwenden: Dabei setzt ihr klare Linien (darf nicht vorkommen) sowie Schleier (darf vorkommen, soll aber ausgeblendet oder nicht beschrieben und ausgespielt werden). Eine Alternative hierzu stammt aus der Script Change Toolbox (siehe unten, Kurskorrektur). Hier wird in drei Kategorien sortiert: Picks (Inhalte, die man sich wünscht), Squicks (unangenehme Inhalte, die wenig vorkommen und wenn schnell vorbeigehen sollen) und Icks (Inhalte, die gar nicht vorkommen sollen).

Nicht zuletzt ist die Session Zero auch der beste Zeitpunkt, um zu besprechen, welche Safety Tools während des Spiels genutzt werden sollen.

X-Card

Unsere X-Card

Die X-Card ist eines der bekanntesten Safety-Tools im Bereich der Pen&Paper-Rollenspiele – und auch am einfachsten zu nutzen: Nehmt eine Karte, einen Zettel oder Ähnliches und schreibt ein X darauf. Sobald eine Situation eintritt, die für eine Person real belastend ist (z. B. Phobien oder Trauma triggert, oder einfach zu viel psychischen Stress bedingt), kann diese Person die X-Card hochhalten, antippen oder darauf zeigen. Die Spielleitung entfernt sofort das aktuelle Element beziehungsweise beendet die aktuelle Szene.

Eine Rechtfertigung oder Begründung ist hierfür nicht nötig, es soll auch nicht diskutiert oder gar bedrängt und Druck ausgeübt werden!

Gönnt der betroffenen Person bei Bedarf etwas Ruhe. Respektiert die Grenzen eurer Mitspielenden und bedenkt, dass an einer solchen Situation niemand „schuld“ sein muss. Es soll für niemanden ein Problem oder Hemmnis sein, auf sich zu achten und bei Bedarf die X-Card zu nutzen.

Erfinder: John Stavropoulos (tinyurl.com/x-card-rpg)
Eine von uns gedruckte X-Card mit Kurzanleitung könnt ihr kostenfrei auf diversen Cons erhalten, auf denen XOXO vertreten ist.

O-Card

Die O-Card ist ein Gegenstück zur X-Card, welche diese auch gut ergänzt – auch wenn sie im eigentlichen Sinne kein Safety-Tool ist. Nehmt wie zuvor ein Stück Papier oder Ähnliches, schreibt aber ein O (aka einen Kreis) darauf. Durch Deuten auf das Antippen oder Hochhalten wird in diesem Fall angezeigt, dass man etwas gerade besonders gut findet und/oder mehr davon will. Die O-Card repräsentiert Begeisternde Zustimmung.

So kann ohne Unterbrechung oder Störung der aktuellen Szene die Freude am derzeitigen Spiel und der Leistung der Mitspielenden und Spielleitung hervorgehoben werden. Die O-Card dient daher auch dazu, den Blick auf positive Elemente zu lenken und diese zu honorieren.

Dabei haben die X-Card und andere Safety Tools immer Vorrang vor der O-Card. Habt keine Angst, diese zu nutzen: Nur weil jemandem etwas sehr gut gefällt, ist dies kein Grund, warum es anderen deswegen schlecht gehen sollte.

Erfinder: Graham Gentz (grahamgentz.itch.io/the-o-card)
Eine gedruckte O-Card (als Rückseite unserer X-Card) mit Kurzanleitung könnt ihr kostenfrei auf diversen Cons erhalten, auf denen XOXO vertreten ist.

Unsere O-Card

N-Card

Als dritte Karte im Bunde gibt es die N-Card. Diese wird genutzt, um anzuzeigen, dass ein Inhalt Unbehagen bereitet. Dabei ist sie aber nicht so rigoros wie ihr X-Gegenstück, welche eine Szene sofort beendet, sondern man weist darauf hin, dass es missfällt – als Hinweis, bevor ein Einsatz der X-Card absehbar erfolgen müsste. Mitspielende und Spielleitung wissen so, dass sie die aktuelle Szene schnell beenden und alle Details ausblenden sollten – ähnlich dem Schleier, über den vielleicht schon in der Session Zero hinsichtlich Lines & Veils gesprochen wurde.

Script Change

Dieses bekannte Tool bietet umfassendere Optionen während des Spiels als etwa die vorherigen Karten, und im Script Change Toolkit auch weitere Vorschläge zur Vor- und Nachbereitung. Nur Nutzung der Kurskorrekturen soll die entsprechende Karte berührt oder einfach ausgesprochen werden, was gewünscht wird – beispielsweise „Ich möchte zurückspulen“. Die am häufigsten verwendeten Optionen sind die folgenden sechs:

  • Pause: Es wird eine Pause benötigt, die fragliche Szene soll aber grundsätzlich im Anschluss gespielt werden. Es kann hilfreich sein, über mögliche Probleme zu sprechen und eventuell trotz der Pause eine der nachfolgenden Optionen zu nutzen.
  • Vorspulen: Die aktuelle Szene wird übersprungen oder ausgeblendet (ähnlich dem Schleier). Die Inhalte bleiben aber dennoch Teil der Geschichte und haben für die Charaktere stattgefunden.
  • Zurückspulen: Die aktuelle Szene wird ein Stück zurückgesetzt, und es wird so getan, als sei das zuletzt Gespielte nie geschehen. Dann wird die Szene neu gespielt. Eignet sich vorrangig für kleinere Probleme, die relativ einfach gelöst werden können, ohne dass die gesamte Szene selbst ein Problem wäre.
  • Wiederholung: Es wird im Anschluss an die Spielszene über diese gesprochen, aus Sicht der Spielenden (statt deren Charakteren). Dabei kann es z. B. um Details gehen, oder darum, dass allen die Konsequenzen der Handlung klar sind.
  • Zeitlupe: Die Szene wird langsamer und vorsichtiger weitergespielt, um sicherzustellen, dass es der anzeigenden Person noch gut dabei geht. Bietet sich insbesondere dann an, wenn man sich unsicher ist, ob es problematisch ist oder wird, man jedoch weiterspielen will. Möglicherweise werden im weiteren Verlauf der Szene andere Optionen benötigt.
  • Weiter: Nach Einsatz einer der vorherigen Optionen kann die auslösende Person hiermit veranlassen, dass alles okay ist und auf übliche Weise weitergespielt werden soll.

Im Script Change Toolkit finden sich noch weitere Optionen und Safety-Tools, die diese ergänzen. Zuweilen werden die Optionen auch etwas anders beschrieben oder genutzt – beispielsweise mit „Weiter“ zum Überspringen einer Szene, und „Vorspulen“, um eine Szene vollständig, aber schneller als üblich zu spielen. Es ist natürlich auch möglich, weniger Optionen als diese fünf zu nutzen. Besprecht im Vorfeld, welche Optionen ihr wie nutzen wollt.

Erfinder: Beau Jágr Sheldon (http://briebeau.com/scriptchange)

Ratings & Trigger

Hierbei handelt es sich um Hinweise, die sich insbesondere für spontane und einmalige Runden eignen – wie z. B. auf Conventions. Ratings meint ursprünglich Einstufungen wie bei Filmen – bei uns wären dies primär Altersempfehlungen. Es können aber auch weitere Hinweise sinnvoll sein, beispielsweise zum Spielstil, verwendeter Sprache, Umgang zwischen Charakteren. Trigger sind dagegen eine Auflistung eben jener, die in der entsprechenden Spielrunde vorkommen (könnten). So können Interessierte direkt einschätzen, ob sie etwaige heikle Themen vorkommen und sich stattdessen bei Bedarf Abstand nehmen. Auf vielen Veranstaltungen sind solche Anmerkungen üblich und werden teils auch explizit erwartet.

Nachbesprechung

Am Ende jeder Spielsitzung empfiehlt es sich, über diese gemeinsam zu sprechen. Insbesondere, wenn ihr noch unerfahrener seid und/oder ein neues Rollenspiel spielt, solltet ihr dies tun. Auch wenn es dabei vordergründig nicht um sicheres Spielen geht. Ihr könnt euch hier austauschen, was euch besonders gut gefiel und was nicht, Wünsche äußern und Verbesserungen vorschlagen, oder auch einfach diskutieren, wie es wohl weitergeht: Ähnlich dem Diskutieren über eine gerade gesehene Serienfolge und dem Mutmaßen, was in den nächsten wohl passiert. Ihr könnt die Nachbesprechung aber auch nutzen, um bereits auf mögliche problematische Entwicklungen hinzuweisen, oder in Ruhe über zuvor vorgekommene Probleme zu reden und wie ihr Ähnliche künftig besser vermeiden könntet.

Es kann mitunter helfen, einzelne Spielende gezielt anzusprechen – nicht nur in der Nachbesprechung. Versichert euch im Zweifelsfall, ob es allen gut geht, ob Pausen gebraucht werden, und regt alle dazu an, Feedback zu geben. Achtet aufeinander – wir alle wollen gemeinsam Spaß haben, doch niemals zulasten Einzelner.

 

Titelbild: Titelbild: Eder Paisan (via iStock)